Peter Miniböck

Die anderen Verwandlungen
Metamorphose Metempsychose Mimikry
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Endlich stehenbleiben
und sich für immer
auf einen Stein setzen
ohne zu versteinern

Wir nehmen uns, bei unserer Suche nach Erkenntnis, das Recht auf das Bedürfnis uns auszuruhen, uns „auf einen Stein zu setzen". Versteinern wollen wir nicht. Dennoch haben wir uns dem Panpsychismus zu stellen: Indem wir uns auf den scheinbar unbelebten Stein setzen, kommunizieren wir mit ihm. Und er mit uns. Seine Mimikry ist perfekt. Aber wir wissen nicht was dahinter steckt, was im Stein verborgen liegt. „Das Leben ist für uns das, was wir in ihm wahrnehmen", schreibt Fernando Pessoa am 27. Juni 1930 in sein „Buch der Unruhe". Da wir noch leben und uns die Metamorphose als Alternative noch unzugänglich bleibt, erkennen wir am Leben wieder nur uns selbst. Und weil wir nicht imstande sind aus uns „herauszutreten" – nur Schamanen, Hypnotisierte, Schizophrene und Menschen mit multipler Persönlichkeit können das – versuchen wir, den entferntesten Sternenfunken des Erkennens zu uns herabzuholen, ihn auf einem dünnen Faden herabzuziehen, um ihn in uns aufzunehmen; hell, klar, vollkommen. Eine perfekte Symbiose, ohne die Medien der Verwandlung, Seelenwanderung oder Nachahmung zu bemühen. Nur: wir sind dabei wir selbst geblieben und der Stern hat sich nicht von der Stelle bewegt. So vermögen wir uns selbst zu erkennen. Und wir müssen nicht sterben, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Nun sind wir sicher. Die Auflagen des Ägyptischen Totenbuches, tot zu sein, um uns und unsere Seele zu wandeln, haben wir nicht mehr zu beachten. Doch: „Wir sind ein Tod", sagt Fernando Pessoa, „das, was wir als Leben ansehen, ist der Schlaf des wirklichen Lebens, der Tod dessen, was wir wirklich sind".
So schlafen wir gemeinsam mit dem Stein auf dem wir sitzen, den Schlaf des Lebens. Seines und unseres.

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