Heidrun Schwinger
Der Balkon

Natürlich wusste ich, dass ich träumte. Wer hätte das an dieser Stelle nicht gewusst? Aber trotzdem gab es keine Garantie, dass ich unbeschadet springen konnte. Im realen Leben wäre die Distanz tödlich - und hieß es nicht, dass man im Schlaf sterben konnte, wenn man den eigenen Tod träumte? Aber es war ein Traum. Und üblicherweise konnte ich in Träumen ganz gut fliegen. Ich war tatsächlich ein passabler Luftgänger, wenn ich schlief. Es kostete schon ein wenig Überwindung, aber ich war neugierig und -
Die Sekunden bis zum Aufprall fühlten sich nicht wie ein Fall an. Eher wie ein Sich Versenken. Was mich viel mehr entsetzte, war, dass es weh tat! Ich konnte mich vor Schmerzen kaum rühren. Ich konnte mich gar nicht rühren! Eine leicht ansteigende Panik machte sich breit. Um mich gingen die Bewegungen weiter. Der Springer hüpfte gerade zum dritten Mal vom Balkon. Er konnte aufstehen. Doch zum ersten Mal war auch sein Schmerz verzerrtes Gesicht zu erkennen. Er stand auf, doch ein Teil von ihm blieb liegen, an der Stelle, an der er gelandet war. Er wirkte jetzt eine Spur transparenter. Der Liegende dagegen löste sich auf. Puff! Weg.
Ich versuchte erneut, mich zu bewegen. Diesmal hatte ich mehr Glück. Und das unbändige Verlangen, erneut zu springen. Wer einmal damit anfängt… Natürlich konnte ich aufhören. Ich musste ja nicht. Das hatte er selbst gesagt. Folgerichtig machte ich mich sofort auf den Weg zum Balkon. Das Haus sah noch genau so aus, wie in meiner Erinnerung. Mit einiger Neugierde sah ich mich um, hielt mich aber nicht lange auf, sondern trat so rasch als möglich wieder an die Brüstung. Ich hatte vergessen, mit denen da unten zu sprechen. Ich musste wissen, was hier vor sich ging. Kurz vergewisserte ich mich, dass meine Eltern noch spielten, stieg auf die Brüstung und sprang.



<<<
3

© heidrun schwinger

Retour zu les.bar | aktuell 2008